23/11/2025 0 Kommentare
Totensonntag
Totensonntag
# Predigt

Totensonntag
Totensonntag… Manche unter uns gehen heute zu „ihren“ Gräbern, bringen Gestecke hin, einen letzten grünen Gruß vor dem Winter - je nachdem wie lange es her ist, liegt das Grab noch frisch oder eben erst eingesunken, ist es schon von Efeu überwuchert… Und auch wir sind an unterschiedlichen Punkten unseres Lebens - vielleicht noch immer verstört und ratlos, vielleicht wieder im Tritt mit einem Hohlraum im Herzen oder nur Schritt für Schritt in der Generationenfolge vorgerückt.Der Tod begleitet uns - ganz gleich, ob wir ihn wahrnehmen oder verdrängen. Er verschont unsere Familien und Freundschaften nicht, er schert sich nicht um unseren Verstand, unseren Mut, unsere Angst. Je nachdem, wie wir verfasst sind, wie kindlich oder verzweifelt wir glauben, ob wir geistlich arm oder geborgen im Vertrauen sind, begleitet uns Hoffnung für das „danach“, trösten uns Worte oder Töne oder muten wir uns zu, das Nichts zu denken. Es ist auch an uns. Selbst die liturgische Farbe des Sonntags verlangt eine Entscheidung - wir hier haben weiß, Horizont der Auferstehungshoffnung.
Aber davor steht eine sperrige Geschichte. Matthäus erzählt sie. Sie haben das Evangelium von den zehn jungen Frauen vorhin gehört. Es ist eine Nachtgeschichte.Es ist eine Geschichte, die von drinnen und draußen erzählt und nach Endgültigkeit klingt.Es ist eine Geschichte, in die man Gott hineinlesen muss. Er steht nicht schon drin. Es ist ein Gleichnis. Ein Vergleich. Wir müssen sie übertragen, ihren Spuren nachgehen, aushalten, was sie nicht erklärt. Es beginnt schon mit dem ersten Satz: Was wird hier verglichen? Und warum sollen wir es heute hören? Es geht um „das Himmelreich“ übersetzte Martin Luther, „wenn Gott seine Herrschaft aufrichtet“ liest Jörg Zink, „die Welt Gottes“ steht in der Bibel der gerechten Sprache.Es geht - vielleicht - um die Grenze zwischen Leben und Tod. Es ähnelt zehn jungen Frauen, schreibt Matthäus, ist also zart, erwartungsvoll, gefährdet. Es wird sein, wie junge Mädchen, die einem - aber nicht ihrem! - Bräutigam entgegengehen, um bei seinem Fest dabei sein zu können, die Lichter brauchen, um dabei sein zu können - sonst werden sie nicht gesehen. Es ist wie fünf Mädchen, die klug sind, planvoll, vorausschauend - vielleicht auch privilegiert. Und es ist auch wie fünf Mädchen, die unüberlegt, dumm, schlecht ausgestattet, arm oder naiv sind. Beides.
Alle zehn warten darauf, dass etwas auf sie zukommt und ihr Leben erfüllt. Allen zehn wird die Nacht, die Dunkelheit, der Zweifel lang. Alle zehn werden müde. Es macht, so viel lässt sich festhalten, keinen Unterschied, wo wir herkommen, wie gut wir vorbereitet sind, wie strapazierfähig, wie begabt - alle kommen an diesen Punkt. Niemand kann sich ewig auf den Beinen halten. Wir sind nur Menschen. Aber dann passiert etwas - mitten in der Nacht der Welt. Unruhe. Geschrei. Ist das ein gutes Zeichen? Oder etwas, dessen wir alle gewahr sein müssen? Der Bräutigam kommt - zu spät, plötzlich und unvermutet, offenbar auch für andere. Die Nacht der Welt, der Trauer, des einsamen Wartens - scheint zuende zu sein. Alle springen auf und greifen ihre Lampen. Aber fünf von ihnen haben kein Öl mehr, ihre Lampen sind aus. Für fünf von ihnen hat es keinen Sinn, mitzugehen. Die Hälfte von ihnen hat keine Energie, keine Ressource, nichts was sich nutzen ließe, um auf sich aufmerksam zu machen, sich gegen die Dunkelheit zu stemmen. Selbst schuld? Matthäus erzählt jedenfalls: diese fünf werden außen vor bleiben. Sie werden nicht eingelassen zum Fest, nicht dabei sein.Die Tür wird zu bleiben. Keiner wird sie vermissen, niemand kennt ihre Namen.
Was???
Wir sitzen hier - am Toten- und Ewigkeitssonntag und sollen was tun? Die Erfolgsbilanz und Durchhaltekraft unseres Lebens und Glaubens evaluieren? Sollen wir lesen, dass nur manchen das Reich Gottes, seine Wirklichkeit, seine Gastfreundschaft offen steht? Sollen wir lesen, dass das „sorget nicht“ doch nicht gilt, weil die, die das nicht getan haben, nun bestraft werden? Sollen wir lesen, dass das „bittet, so wird euch gegeben, klopft an, so wird euch aufgetan“ an Bedingungen geknüpft ist? Sollen wir lesen, dass das was wir den Geringsten unter unseren Geschwistern nicht getan und gegeben haben, doch nicht ins Gewicht fällt - wenn man es selber dringend braucht? Sollen wir schließlich - gerade heute - hören, dass unsere Namen vergessen werden, wenn wir nicht perfekt sind, nicht treuer geglaubt, nicht länger gewacht, nicht besser gesorgt haben? Sollte Gott wirklich denen, die nicht so fit, wach, parat, leistungsfähig sind, die nicht alles im Überfluss haben, die Tür vor der Nase zu schlagen? Ist sein Fest nur gedacht für die auf der Sonnenseite des Lebens? Das kann nicht gemeint sein.
Das glaube ich nicht. Das widerspricht allem, was uns gesagt ist, was Jesus Christus vorgelebt hat.Noch einmal lesen. Steht es denn wirklich so da?
Was wäre, wenn wir nicht der Tradition folgten, wenn wir in dem Bräutigam nicht Christus sehen, wenn das Reich Gottes nicht mit dem Fest hinter der verschlossenen Tür gemeint ist? Was wäre, wenn wir zu lesen wagten, dass Gott, der in Jesus an die Ränder der Gesellschaft ging, auch hier bei denen ist, die im Dunkeln sind? Was wäre, wenn wir vertrauen, dass Gott bei denen ausharrt, die draußen bleiben müssen und mit ihnen aushält, dass es noch immer dunkel ist? Gott wäre dann ganz nah - in der Anfechtung, in der Trauer, in der Verlassenheit und auch in dem Unvermögen, den eigenen Tod zu erwarten. Gott wäre dann keine Belohnung, sondern ein Beistand.Gott mahnte dann, wachsam sein und aufzupassen, durch welche Tür wir eilen, nur weil es dahinter glänzt und verheißungsvoll zu sein scheint. Ja, diese Lesart macht die alte Geschichte nicht einfacher. So gibt es kein Bild für das „danach“, so müssen wir noch immer das Dunkel aushalten, vielleicht sogar gegen den Trend, verachtet als die Törichten, Naiven, Dummen.
Aber ich will glauben, dass Gott nicht nur die Hälfte von uns meint. Ich will nicht aufgeben, dass die die geistlich Armen selig werden. Ich will darauf vertrauen, dass unsere Namen und die unserer Nächsten bei ihm aufgehoben sind. Und ich ahne, dass uns niemand abnimmt, zu welcher Hoffnung wir uns durchringen - wenn wir an Gräbern stehen, wenn wir uns fragen, was sein wird am Ende des Lebens, am Ende der Welt, am Ende der Zeit. Für heute will ich festhalten: es wird sein wie zehn junge Mädchen - zart, verheißungsvoll, gefährdet. Es wird sein wie Maria, die es an sich geschehen lässt. Es wird sein wie das Kind, dem wir entgegengehen. Im Licht des Advents, nicht erschrocken dem Geschrei folgend, sondern dem Stern und dem Gesang der Engel.
Dompredigerin Cornelia Götz
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