
05/10/2025 0 Kommentare
Sommersegen
Sommersegen
# Predigt

Sommersegen
Cornelia Götz, Dompredigerin
Ich habe zu Weihnachten eine wunderbare Flasche bekommen - sie geht im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin leicht auf und wiegt fast nichts. Und außerdem sie sie schön aus. Sie ist meine. Und ich vermute, die große Mehrzahl hier unter uns hat jeweils auch ihre eigene zerschrammte, bunte oder einfarbige Flasche. Früher waren das Wanderflaschen für die Berge - jetzt sind es Lifestyleprodukt und ein Gegenwartsphänomen. Fast alle haben immer eine Flasche dabei. Kann eine Gesellschaft soviel Durst haben???? Haben wir ständig trockene Kehlen oder wonach haben wir so offensichtlich unstillbaren Durst? Was fehlt uns? Wir leben doch trotz aller Krisen im Überfluss. Leiden wir Hunger und Durst? Ich weiß, dass das nach Luxusdebatte klingen kann - angesichts der unzähligen Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und wirklich Hunger haben - aber wir hören heute einen Text, der uns dringlich einlädt und zerrt und wirbt, uns konfrontiert und zurückbindet und dabei eben die großen Metaphern von Wasser und Brot in den Vordergrund stellt. Sie haben es vorhin aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört: „Auf, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“ Klingt nach alles gehört allen und jedem nach seinen Bedürfnissen. Das hatten wir ja irgendwie schon und es ist schrecklich schief gegangen. Unter Stalin, Mao und Kim il Sung wurde erst recht gehungert. Es wäre schön, wenn es funktionieren würde. Aber offenbar geht das mit normalen Menschen nicht. Also lieber dichtmachen und vorbeirauschen lassen? Sich lieber nicht verführen lassen? Oder doch noch einmal der großen Hoffnung nachgehen? Ich zögere, diesen Bildern, dieser Vision noch etwas zuzutrauen und werde doch hineingezogen - es muss mit dem großen Durst alles in allem zu tun haben. „Kommt, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“ Da soll Hunger und Durst gestillt werden, für alle und ohne Bedingungen. Wunderbar! Aber muss zu mit Bildern des Marktes gesprochen werden? Wird einfach nur genutzt, dass wir verlässlich aufmerksam werden, wenn von Geld die Rede ist und es irgendwas umsonst gibt? „Kommt! Kommt!“ Immer wieder ruft Gott. Hat er das nötig? Bei diesem Angebot? Offenbar schon - denn es ist ja nicht sein erster Ruf an uns Menschen: Gott ruft den Abraham im Traum und durch Johannes in der Wüste. Er fragt von Anfang an - wo bist du denn, Mensch? Kommt! Kommt doch - ich seh doch in eure Herzen, ich weiß von Eurem Hunger nach Leben und dem Durst nach Liebe und der Sehnsucht nach Fülle. Ich weiß, dass ihr vor der Leere Angst habt und unruhig werdet, wenn nicht genug zu essen da ist, kein Wasser auf dem Weg. Kommt und dann trinkt, bis der Durst weg ist. Kauft! Aber ohne Geld. Ich will dieses brutale Tauschsystem gar nicht. Ich will nicht, dass ihr euch mit Leib und Seele verkaufen müsst, um zu überleben. Ich will nicht, dass ihr eure von mir geschenkte Lebenszeit gegen Geld eintauscht, schon gar nicht, um das Lebensnotwendige zu bekommen, ihr müsst mich nicht bezahlen. Erinnert euch an Josef und seine Brüder: die fanden das Silber, mit dem sie bezahlen wollten, wieder in ihren Getreidesäcken. Denn es ist nicht das Geld, das die Welt zusammenhält und auch nicht Geld, dass eurem Leben Stabilität und Grund gibt, sondern ich bin es. Hört doch! Kommt doch! Wie verzweifelt sehnsüchtig das klingt! Kommt doch: bei mir ist alles da und alles gut. Es kostet dich nichts. Und wer hören kann, nimmt wahr: es geht nicht nur um Mich und Honig, eben das was sich auch in der wilden Natur finden lässt. Es gibt auch Wein – Ausdruck von Kultur. Wenn wir Wein und Milch bekommen ohne in den unbarmherzigen und ungerechten Kreislauf des Geldes geraten zu müssen, dann erzählt diese Vision etwas von Gerechtigkeit und Menschenwürde - und erst recht uns, weil hier überall für Trinkwasser und Notdurft gezahlt werden muss. Und diese Vision erzählt von Frieden und der Möglichkeit, Früchte der Arbeit und des Lebens zu ernten, Kultur teilen und erleben zu können. Es gibt Milch und Wein. Es geht in dieser Verheißung eben nicht um Enteignung und allgemeine Gratisversorgung geht, sondern um eine grundsätzlichere Art des Sattwerdens. (Wieder Herta Müller eingedenk: „Nur darf man über den Hunger nicht reden, wenn man Hunger hat.“) Kommt, ihr Mühseligen und Beladenen, ihr Hungrigen und Durstigen - kommt, ich will euch erquicken. Aber das scheint uns nicht zu erreichen. Denn was machen wir? Offenbar geben wir Geld für etwas aus, - Jesaja - „was kein Brot ist, und unseren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht…“. Wir wollen was zu kaufen haben! Wir besitzen gern für das schöne Dinge und wollen aus Appetit essen, mit Genuß trinken. Egal, wie viel wir in uns hineinstopfen und hineingießen: Der Durst lässt sich nicht durch immer mehr Trinken löschen, der Hunger nicht durch Wachstum stillen, die Leere nicht durch Social media füllen. Es geht um etwas anderes. Wo soll uns das herkommen in dieser glaubensarmen Zeit? Und immer noch klingt es: „Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“ Es scheint ganz einfach zu sein. Ist das jetzt der Moment für das große Aber? Der Moment für die Ergebnisse kirchlicher Mitgliedschaftsstudien und die Vorschlähe kirchlicher Reformpapiere - oder fällt auch das alles unter teures Zeug, das wir in uns hineinstopfen ohne zu Hören? Kommt doch! Hört, so werdet ihr leben! Ich habe letzte Woche ein schönes Wort gelernt: „Zukunftsmut.“ und heißt das nicht: Lasst uns an die Salbung in Bethanien denken, an kostbare wohltuende Zuwendung - auch für den Leib. Lasst uns Vertrauen wagen! Lasst uns unter Gottes Segen stellen - darum sind wir doch heute da.
Zuletzt: Allermeist gieße ich das Wasser aus meiner Trinkflasche abends in die Blumen. Der Durst kam nicht vom Wasserhaushalt. Trotzdem nehme ich die Flasche am nächsten Tag wieder mit. Sollte ich auch, es wird heiß. Vor allem aber, damit sie mich erinnert: an Fülle und Dankbarkeit, lebendiges Wasser und Zukunftsmut.
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