Rosen statt Dornen

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# Wort zum Alltag

Rosen statt Dornen

Wir Protestanten und unser Verhältnis zu Maria – ein spannendes Thema. Hier bei uns im Dom ist Maria immer gegenwärtig, denn unser Altar ist ihr geweiht. Und – Achtung: kleiner Spoiler – wir feiern den 4. Advent sehr bewusst als Mariensonntag mit gesungenem Magnifikat und einem Lied, das aus dem Advent ohnehin nicht wegzudenken ist: „Maria durch ein Dornwald ging“.
Es stammt aus dem Eichsfeld und ist knapp 200 Jahre alt. Ursprünglich war es gar kein Advents- oder Weihnachtslied. Es wurde auf Wallfahrten gesungen und ist so in einer siebenstrophigen Fassung überliefert. Heute werden meist nur noch die ersten drei Strophen gesungen.
Das Lied erzählt eine wunderbare Geschichte. Doch die Erzählung ist kurz und bündig und ohne jedes Pathos und in einer nachrichtensprecherähnlichen Nüchternheit gehalten. „Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieben Jahr kein Laub getragen“, so Text und Inhalt der ersten Strophe. Doch es gibt einen Ruf, der in jeder Strophe wiederkehrt: Kyrie eleison – Herr, erbarme dich! In ihm steigt die Melodie auf zu ihren ersten Höhepunkt und während es vorher eine wiegende Wellenbewegung war, geht es hier drängend nach vorne und nach oben.
Ich finde, dass dieses besondere „Kyrie eleison“ das Wesen des Advents großartig in Musik fasst. So, wie es die Kerzen auf dem Adventskranz auf Weihnachten hin immer heller werden lassen, so können auch wir unser Sehnen und Warten auf das Kind in der Krippe im Stall von Bethlehem verstehen. Es drängt nach vorne.
Wie sehr sind wir gerade in diesen Zeiten auf Gottes Erbarmen angewiesen! So vieles, auf das wir uns verlassen konnten, das unserem Leben, unserem Land, ja der gesamten Weltordnung Stabilität gegeben hat, ist ins Wanken geraten. Gemeinsame Werte verlieren dramatisch an Bedeutung und werden verdrängt von Geschäftemacherei, neu erfundenen Friedenspreisen und widerwärtig triefendem Opportunismus. Kyrie eleison! Herr, erbarme dich!
Und wie wohltuend ist dann diese so bescheidene Beschreibung des Wunders, das uns allen zuteilwurde. „Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen.“ Da war kein zartes Grün, kein vorsichtiges Erwachen von neuem Leben nach sieben Jahren dorniger Leblosigkeit. Gottes Erbarmen schenkt Rosen – von jetzt auch gleich, aus dem Nichts. Aus der scheinbaren Hoffnungslosigkeit heraus bricht sich neues Leben Bahn in seiner schönsten und prächtigsten Form.
Das ist Gottes neuer Bund mit uns Menschen, der in dem greifbar, sichtbar und erlebbar wird, dessen Geburtstag wir in zwei Wochen feiern werden. Zuversicht statt Verzweiflung, Liebe statt Hass, Rosen statt Dornen.


Prädikant Heiko Frubrich

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