
12/10/2025 0 Kommentare
17. Sonntag nach Trinitatis - Rahab
17. Sonntag nach Trinitatis - Rahab
# Predigt

17. Sonntag nach Trinitatis - Rahab
Im Magazin der Süddeutschen Zeitung gibt es auf Seite 6 die „Gute Frage“. In dieser Woche geht es - wenig erquicklich - darum, ob man Kirchen bitten sollte, ihre unaufgeforderten lauten Zeitansagen zu unterlassen und das Geläut zu reduzieren. Es haben ja schließlich alle Handys und wissen wie spät es ist und wer wollte schon dauern und ständig an seine Endlichkeit erinnert werden?
Wer will schon dauernd erinnert werden, dass jetzt die Zeit ist?
Wer will schon dauernd erinnert werden, dass es jetzt drauf ankommt?
Wer will schon dauernd erinnert werden, dass unsere Zeit in Gottes Händen steht? Und wenn Zeit so unerbittlich vergeht, was nützen dann uralte Geschichten?
Braucht es nicht neue?
Oder sind es doch immer dieselben?
Irgendwie schon. Denn das Evangelium spielt in Tyrus, der Predigttext in Jericho - für Zeitgenossen klingt das als ginge es um Stalingrad, Aleppo, Kiew oder Coventry stehen - sie wären sofort hellwach.
Wir aber brauchen Glocken aller Art, um nicht an dem, was jetzt gehört werden soll und muss, vorbeizudrömmeln.
Lesen wir also:
Josua war der Nachfolger des Mose. Er sollte Gottes Volk nun in das Land führen, das ihnen verheißen war, auf das sie seit Generationen zuliefen.
Was für ein Land war das?
Und kann man es sich einfach so nehmen?
In Herman Melvilles Walfängerroman „Moby Dick“ kann man auf die Frage, wem etwas gehört und zusteht (dort geht es um bereits harpunierte aber noch nicht erlegte Wale) lernen, dass man jeweils zwischen „Festfisch“ und „Losfisch“ zu unterscheiden habe. Bildet man sich ein, dass etwas keinem gehört, also ein „Losfisch“ ist, dann muss man es nur in Besitz nehmen und zu seinem „Festfisch“ machen.
Melville erklärt damit ein Denkmuster, das von amerikanischen Siedlern für das Land genauso wie von Männern für Frauen funktionierte.
Alles Losfische.
Aber das Land war bewohnt. Die Ukraine, Frauen und Fische gehören sich selbst. Und auch Jericho war ganz offensichtlich eine bewohnte Stadt, ein Festfisch.
Ohne Frage war dort jemand zu Hause.
Josuas Anspruch würde nicht widerstandslos akzeptiert werden.
Es riecht nach Blut und Kriegsgefahr. Glocken stürmen.
In Jericho werden es Posaunen sein.
Dahinein schickt Josua zwei Spione. Sie sollen sich umtun.
Das ist eine alte immer aktuelle Methode. Die Unterwanderer und Rumhorcher kommen zuerst. Und die sie bemerken, haben noch Gelegenheit sich zu entscheiden. Diese beiden Spione hier gehen zuerst in das Haus einer Prostituierten, Rahab.
Ich mag mich nicht an schmutzigen Spekulationen beteiligen, warum das so ist - sondern denke mir: das wird ein leicht zugängliches Haus gewesen sein, am Rand der Stadt, dort wo die leben, deren Sozialprestige ohnehin im Keller ist, deren Loyalität zur Stadt und ihren Bürgern Grenzen haben wird.
Und auch: wer dort ankommt, legt keinen Wert darauf, damit zu prahlen wer er ist. Im Gegenteil: Man kann von einer gut geölten Praxis der Verschwiegenheit ausgehen. Aber in dieser Geschichte funktioniert das nicht.
Der Herrscher Jerichos erfährt von den beiden sofort.
Die Situation eskaliert sofort.
Es geht sofort darum, wie Rahab sich verhält- sie, die Einzige, die in dieser Geschichte einen Namen hat.
Was für eine Atemlosigkeit!
Und Rahab entscheidet sich sofort.
Sie sieht in den Spionen die Vorhut derer, die demnächst das Sagen haben werden. Sie erkennt die beiden als Vertreter der Zukunft.
Und schlägt sich um ihre Seite.
Sie versteckt sie.
Schickt die Verfolger in die falsche Richtung.
Handelt Schutz für sich und die ihren heraus - dann wenn das Morden losgeht.
Ist sie eine geniale Opportunistin?
Oder nur eine hellsichtige Frau, die gelernt hat, für ihren Schutz selbst zu sorgen?
Denn das tut sie - und zwar nur für sich.
Der rote Faden hätte vielleicht auch in anderen Fenstern hängen und Leben retten können?
Aber wer weiß, noch sind Versprechen nicht gehalten.
Noch hängt sie voller Risiko zwischen Hoffnung und Zweifel.
Die Spione werden Josua berichten, die Bewohner Jerichos seien feige. Warum? Geht Krieg und gewaltsame Übernahme nur, wenn die Fremden schlechtgeredet werden?
Der Wochenspruch aus dem 1. Johannesbrief heißt: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ Ich habe mich da bisher drumrumgedrückt. Das ist mir unheimlich.
Und überhaupt?
Geht es nur um uns? Darum, wer mit Glauben oder ohne, die meisten Festfische macht?
Da bleibt doch eine große Leerstelle:
Aber wo ist Gott in dieser Geschichte?
Wo ist er an Orten, deren Namen sich mit schrecklicher Zerstörung verbinden?
Das ist die Frage dieses Sonntages.
Das ist die Frage unseres Lebens.
Noch einmal schaue ich auf Rahab.
Ihr Haus scheint inmitten einer gewaltsamen Geschichte eine Arche zu sein.
Ein Schutzraum - am Rande der Gesellschaft. Der rote Faden erinnert an die blutgetünchten Türpfosten kurz vor dem Auszug der Israeliten. Auch da war das rote Zeichen eine schützende Markierung inmitten schrecklicher Gewalt.
Rahab kann nicht wählen, was ihre Stunde schlägt.
Rahab kann die Zeit nicht anhalten, nicht umlenken, was auf sie zukommt.
Sie kann sich entscheiden, wem sie vertraut.
Rahab wird eine, die den Gott bekennt, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat. Sie verlässt sich auf den fremden Gott.
Was für ein Mut.
Später begegnet sie - die Unreine - uns als Schwiegermutter der Ruth und Stammmutter Jesu.
Die Antwort auf die „Gute Frage“ im SZ-Magazin ist gefällig: wenn die Glocken läuten, um die Zeit anzusagen, lohnt es nachzufragen, ob das nötig ist - aber wenn sie zum Gebet rufen, kann man nichts machen.
Ein Glück,
denn sie erinnern uns an den Mut derer, die sich vor uns verlassen haben,
denn sie erinnern uns daran, dass jetzt die Frage ansteht, ob wir vertrauen,
dass wir uns jetzt entscheiden müssen, ob und wem wir helfen.
Die Glocken läuten immer wieder. Manche nervt das.
Die Glocken läuten, weil sich die Frage nach Gott jeden Tag neu stellt und wir lebenslang Antworten versuchen.
Cornelia Götz, Dompredigerin
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