Quasimodogeniti

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# Predigt

Quasimodogeniti

Cornelia Götz, Dompredigerin


Eine Woche ist Ostern gerade her. Eben noch saßen zwei Engel im Grab und riefen Maria beim Namen, da hat sie verstanden! Ein wenig später durfte Thomas - der immer ein bisschen mehr Vergewisserung und Sicherheit braucht - Jesu Wunden berühren, um das Unglaubliche glauben zu können Wir aber sind längst zurück im Alltag und haben den blechstrotzenden „Autofrühling“ vor der Tür, Putin und Trump am Ruder und immer noch sind die tot, die wir geliebt haben.  Wir müssen uns mit Erinnerungen und Texten wie dem ersten Petrusbrief vorhin begnügen, um an der großen Hoffnung festzuhalten, die ein für alle mal tragen, leuchten und trösten soll.  Aber wie geht das?  Kann man tatsächlich von der Hoffnung derer vor uns zehren? Hilft uns der Blick zurück überhaupt - ist es nicht vielmehr so, dass wir dann einmal mehr sehen, dass wir nichts lernen und immer nur rückwärts verstehen, niemals vorwärts? Und ist Erinnerung nicht ohnehin viel zu subjektiv?  Wie geht Erinnern und Ermutigen, wenn man kommende Generationen mit hineinnehmen will in das, was man selbst als umstürzend oder grundlegend erlebt hat, das was mich warnt, wach macht, ordnet, gründet?  Wie erzähle ich, die ich es erlebt habe und dabei war, wie die Maria und Thomas ins Jerusalem, von dem Land, in dem ich geboren wurde, das es nun nicht mehr gibt - der DDR? Wie von Diktatur und Gleichschaltung, von Staatssicherheit und Militarisierung, geschlossenen Grenzen und Zensur - so dass es den Blick nachhaltig für das schärft, was jetzt geschieht?  Wie erzähle ich von einer Kirche in der Minderheit und ohne großes Geld, die überaus relevant für mich war, die Räume anbot, in denen offen geredet werden konnte, in der es Menschen gab, denen man sich anvertrauen konnte, die Worte wagte, die der Klarheit und Wahrheit dienten?  Wie erinnere und erzähle ich diese unglaublichen Monate 1989 und 1990?  Und zwar so, dass Freiheit ein großes Wort wird - näher an der Freiheit eines Christenmenschen als an der ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren zu dürfen? Und wenn schon das so schwer ist und von so vielen, die auch dabei waren, nicht oder anders gesehen wird, wie sollen wir dann vom berichten, was vor 2000 Jahren in Jerusalem passierte? Wie können wir davon erzählen? Wir, die wir nicht dabei waren?  Ist da der erste Petrusbrief mit seinem schwurbeligen Pathos auch nur anflugsweise brauchbar? Oder halten diese Worte nur eine Leerstelle für Musik und Liturgie offen, weil Ostern mit dem Kopf nicht geht? Immerhin: Einen Punkt macht der Petrusbrief als ich lese, dass Dietrich Bonhoeffer diesen Versen seine letzte Morgenandacht in Flossenbürg widmete.  „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung …“ Wie muss das geklungen haben - an einem Frühlingsmorgen unmittelbar nach Ostern - kurz vor Kriegsende, in einem Konzentrationslager! Gelobt sei Gott! Es kann nicht mehr lange dauern! Das Schlimmste ist überstanden. Er hat uns wiedergeboren. Uns!  Da muss die Hoffnung, doch noch überleben zu dürfen, groß werden - für die „die aus Gottes Macht bewahrt werden.“ Wenn man denen, die davon erzählt haben, glauben kann, dann redete Dietrich Bonhoeffer nur Augenblicke vor seinem Todesurteil, zu Menschen wie uns - also denen mit eher ungeübten Ohren und störrischem Denken. War es denen vor 80 Jahren so fremd wie uns, dass wir „zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe“ werden? Was nützt denn jetzt und hier, „was im Himmel aufbewahrt ist“, wenn man das Leben liebt und sehr konkrete Menschen auch? Was fangen wir an mit einem: „Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen“? Dann. Dann. Wir leben aber jetzt.  Wir brauchen jetzt Hoffnung - viel Hoffnung, denn das Leben scheuert uns wund. Will der, der hier schreibt, gar nicht leben und lieben, bauen und pflanzen, will der gar nicht wirksam werden, die Welt verändern, widerstehen?  Will der nur glauben und sich an seiner Seelenseligkeit freuen? Wenn ich das meinen Kindern schreibe, die Angst haben, dass Frieden und Demokratie den Bach runtergehen, die sich sorgen, welche Welt ihre Kinder erleben werden - voller künstlicher Macht, geclonter Terroristen ohne einen grünen Baum -wenn ich denen angesichts all der Themen, die uns über den Kopf wachsen, so komme - dann halten die mir falsche Frömmigkeit vor. Sie wollen ja nicht als Märtyrer sterben - und dann errettet werden zu unaussprechlicher Freude. Sie wollen leben! Was hilft da ein Brief über „Glaube, der sich bewährt und für viel kostbarer befunden wird als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird“.  Schritt zurück:  Wer schreibt hier eigentlich? Man weiß es nicht genau. Manche führten diesen Brief direkt auf Petrus, also einen Augenzeugen zurück, andere denken, er wurde erst 100 Jahre nach Jesu Auferstehung geschrieben. Erlebte und erzählte Erinnerung haben sich also längst vermischt.  Nehmen wir einmal an, dass Petrus diesen Brief geschrieben hat, warum macht er so große unnahbare Worte? Versteckt er, dass er lieber schweigen würde? Er, der so gern vertraut hätte, der fast übers Wasser hatte gehen können, der Jesus verteidigen wollte und einem römischen Soldaten deshalb ein Ohr abschlug, der ihn trotzdem verleugnet und darüber bitterlich geweint hat - wie soll ausgerechnet er von der lebendigen Hoffnung erzählen - ohne Scham und Reue.  Er war doch so nah dran!!! Hat er das Wunder nicht kommen sehen? Erlebte er, was Hertha Gordon-Walcher, eine Kommunistin, Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts so beschrieb: „Man redet immer nur vom Hauch der Geschichte. Aber wenn er dich streift, nimmst du ihn kaum wahr. Er ist nur ein Lüftchen…“. Erst hinterher ahnst Du, was geschehen ist und bist längst ein Teil davon.  Das können wir verstehen.  Und da verstehe ich den Petrus oder wer immer da schreibt, dann doch.  Er weiß, dass er von sich selbst absehen darf und muss um von der Hoffnung zu reden, die allen gilt. Auch Bonhoeffer hat nicht von sich auf andere geschlossen, sondern von Gott und Jesus Christus auf uns. Unser eigenes Leben und Glauben, Scheitern und sich Bewähren muss Gott sei Dank kein Garant sein für die Hoffnung, die lebendig macht.  Denn diese Hoffnung leuchtet nicht aus der Vergangenheit.  Sie kommt uns entgegen! Die Geschichten, die wir mit uns tragen, können vielleicht erklären, warum ich bin wie ich geworden bin, wir sollten sie uns erzählen, um zu teilen, was uns treibt und prägt, sorgt und glücklich macht, was wir gelernt und vielleicht sogar verstanden haben, warum wir diese eine große Hoffnung brauchen.  Aber die Ostergeschichte ist anders.  Sie ist nicht vergangen. Sie passt in keinen Zeitstrahl.  Wir müssen sie nicht durch Erinnerung und Erklärung lebendig halten. Wer wären wir! Sie scheint längst durch uns, die wir „wiedergeboren sind zu einer lebendigen Hoffnung“. Und unsere Kinder leuchten uns entgegen.


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