
05/10/2025 0 Kommentare
Palmarum
Palmarum
# Predigt

Palmarum
Cornelia Götz, Dompredigerin
„Hosianna, Hosianna, Hosianna“ haben wir eben gesungen - ich weiß gar nicht wie oft. „Hilfe! Hilfe! Hilfe!“ Aber wie Hilfeschreie hat es gar nicht geklungen. Eher wie: „Herrlich! Glücklich! Wunderbar!“ Oder: „Halleluja!“ Haben Elke und Robin uns falsche Töne gegeben? Im Gegenteil: Sie haben das absichtlich gemacht und auf einen Hallelujavers die Hosiannaworte gelegt, weil sich genau das heute mischt: große Willkommensfreude und Hilferufe. Ihr habt es ja gehört: nachdem Jesus nun so lange durchs Land und über die Dörfer gezogen war und man sich schon so viele Geschichten über ihn erzählte, die alle irgendwie besonders klangen, wurde er nun endlich in Jerusalem erwartet! Endlich, endlich kommt er auch hierher und die Menschen jubeln und empfangen ihn voller Freude - und Hoffnung, denn auch sie haben Sorgen und Probleme, Krankheiten und Not. Und ihre Stadt ist besetzt. Jetzt! Denken sie. Jetzt kommt einer, der sich für uns interessiert und uns hilft. Jetzt wird es endlich gut. Hoffentlich. Solche gespannte Erwartung auf jemanden oder etwas, worauf man sich riesig freut aber nicht ganz sicher ist ob es auch so werden wird, wie man hofft, kennen wir alle: man wartet ganz sehr aber, weil man sich zugleich vor einer Enttäuschung fürchtet, traut man sich gar nicht richtig, sich zu freuen. Und manche verspannen sich dann noch richtig, weil es ja bitte nicht an uns liegen soll, wenn es nicht so wunderbar wird wie erhofft. Darum singen wir beim Warten auf Weihnachten und heute auch: „Wie soll ich dich empfangen?! Und wie begegne ich Dir?“ Wie? Wir bereiten natürlich alles vor! Im Advent schmückt sich die ganze Stadt. Heute haben die Kinder für jede und jeden einen Palmzweig gebastelt. Wir sind bereit! Jetzt müssen wir nur noch warten und uns immermal auf die Zehen stellen, um bisschen besser sehen zu können und dabei merken wir: Erwartung verändert uns. Wenn wir auf ein Ereignis oder einen Menschen sehr warten - vorfreudig warten, dann richten wir uns innerlich wie eine Kompassnadel aus. Unsere Erwartung teilt sogar die Zukunft in davor und danach ein, obwohl wir gar nicht wissen, wie es sein wird. Das malen wir uns aber mit den allerschönsten Farben aus - und sind dabei gefährdet, uns auszutricksen. Denn wir stellen es uns so schön vor, wie es beim besten Willen nicht werden kann. So sorgen wir selber dafür, dass es sowieso anders kommt als gedacht und planen die Enttäuschung schon mal ein. Das halten wir für Realismus und wundern uns dann, warum Menschen so misstrauisch, unzufrieden und kleingläubig sind. Dabei sind wir nur schlecht im Warten und Freuen. Denn sich vorfreuen und der Zukunft Wunder zutrauen zu können, ist eine Gabe. Ihr Kinder habt sie. Darum gehört Euch das Himmelreich! Und dann ist da noch ein zweiter Punkt: Erwartung macht ehrlich. Wir können gar nicht ignorieren, worauf wir hoffen und wonach wir uns sehnen. Meist hat es was mit Liebe zu tun, mit irgendwas, was wir von einem anderen für uns erhoffen - dass es mir endlich geschieht! Und jenseits unserer heimlichen Herzenswünsche hoffen wir ja auch noch und nicht zu knapp - wie die Menschen vor 2000 Jahren auch - dass endlich einer kommt, der sich wirklich um die kümmert, die nicht selbst für sich sorgen können, der dafür sorgt, dass das Land sich in einer guten Verfassung befindet und vorgesorgt ist, falls das Geld knapp wird oder es mal eine Zeit lang nicht regnet, mit dem es gerecht zugeht und friedlich ist und auch ein bisschen schön. Für alle. Von dem, auf den wir heute warten, von Jesus Christus, hat man schon allerlei Gutes gehört: er kann reden und begeistern, heilen und satt machen, die Wüste wird grün, wo er sich lagert und der Sturm legt sich. Merkt Ihr schon, wie das Herz glüht, wenn man sich das alles ausmalt! Und er ist sogar ein König! Solche Erwartung steckt auch Erwachsene an! Darum haben Menschen, wenn sie eine große Hoffnung teilen, die größer werden soll, oft etwas, woran sie sich erkennen können: in Belarus das Herz aus Händen und weiße Rosen oder in Honkong einen Regenschirm. Zu unserer Hoffnung gehören Palmenzweige. Aus gutem Grund: Palmen, so sagt es ein orientalisches Sprichwort, „wollen ihre Füße im Wasser und ihr Haupt im Feuer des Himmels baden.“ Wo Palmen wachsen, geht es Menschen gut. Es gibt Wasser, Licht und herrliche Früchte. Aus Palmzweigen kann man Matten und Körbe flechten. Und mit dem Holz bauen. Palmen sind der Inbegriff von Fülle und Segen. So wird es sein! Genau! Und da kommt er auch endlich! Und? Stutzen: Er reitet auf einem mickrigen Esel und hat nichts, wirklich gar nichts an sich, das besonders aussieht. Im Gegenteil: er sieht genauso aus wie man es nicht erwartet hat. Abgekämpft, verschwitzt, müde. Blasen an den Füßen hat er auch. Er ist gar kein König. Er ist ein Mensch. Die Arme sinken herunter. Was für eine Enttäuschung. Hat ja eigentlich auch gar nicht anders sein können. Fast schämt man sich für seine große Hoffnung. Wie naiv wir sind! Als würde jetzt aus unserem Wasserhahn Wein kommen und die Schulden, der Krieg und der Krebs weg sein und… Hoffentlich hat es niemand gemerkt, dass wir vorhin so laut gesungen haben! Nur schnell das Herz wieder abriegeln. Stille. Komm, wir gehen. Aber einer knarzt noch rum. Er hat wirklich keine schöne Stimme. Aber der singt: „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit … Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit / Das Grün bricht aus den Zweigen / Wir wollen es allen zeigen / Dann wissen sie Bescheid.“ Der hat Nerven. Obwohl: Wird es nicht grün draußen? Ist es nicht unsere Freiheit, Ja zu sagen? Ist es nicht unsere Freiheit, dem der da ohne Gewalt und Pomp kommt, der sich nicht auf Kosten anderer profiliert, sondern ein Mensch ist und uns erinnern will, dass wir auch welche sind, alles zuzutrauen? Könnte der, der so anders ist als die Mächtigen, die wir kennen, vielleicht doch alles verändern und zum Guten wenden? So hat es noch nie einer versucht! Der kommt gar nicht erst als Held. Der kann uns nicht enttäuschen. Der wird scheitern? Nein. Das wird er nicht. Er wird sterben. Das ist nicht dasselbe. Das ist menschlich. Und eine große Liebesgeschichte. Wollten wir dich nicht? Doch. Aber… Kein. Aber. Der wird uns helfen? Hosianna. Halleluja.
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