Karfreitag

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# Predigt

Karfreitag

Cornelia Götz, Dompredigerin


Karfreitag 2025 - in einer Welt voller Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt wir nicht überprüfen können, in einer Welt, in der man sich nicht wundern würde, wenn sich plötzlich die Sonne verdunkelt -  hält unser Alltag inne, stehen alle Räder still, weil in Jerusalem einer hingerichtet wird. Bizarr. Das passiert schließlich alle Tage irgendwo, ganz schweigen von den ungezählten Namenlosen, die an (unserer?) unterlassender Hilfeleistung sterben.  Was unterscheidet diesen einen - zu jung - sterbenden Menschen von allen anderen? Warum sollten wir ausgerechnet angesichts dieses martialischen Sterbens in einer der unruhigsten Gegenden der Welt glauben, dass nicht das Leben vom Tod umfangen ist und wir immer nur auf den Tod zulaufen - sondern dass es genau andersherum ist: der Tod ist vom Leben umfangen.  Weil es uns leben hilft - und wahrscheinlich auch sterben - wenn wir verstehen, dass der da hängt und uns zum Zeichen wurde, der erste Freigelassene der Schöpfung ist.  Das sollen wir glauben. Das können wir sehen. Und Johannes - der Evangelist, der wusste wie schwer es ist zu glauben ohne zu sehen, der wusste, dass der Zweifel immer mitgeht und der deshalb den Thomas ernst nimmt ohne ihn demontieren - der schaut nicht Matthäus, Markus und Lukas von „ferne“ zu, sondern zoomt ganz nah heran.  Kurze Erinnerung: den Blick aus der Ferne hatten wir vor ein paar Wochen, an Reminiszere (eben dem Sonntag „erinnert euch“) als Johannes uns von weit weg nach Golgatha schauen ließ: Damals erinnerte er uns an die Wüstengeschichte als Gott giftige Schlangen schickte, die den Menschen in die Füße bissen. An diesen Verletzungen starben alle außer denen, die ihren Blick hoben und auf die Eisenschlange schauten, die Mose in Gottes Auftrag hochhielt. Johannes bereitete uns damals vor: genauso sollen wir heute auf das Kreuz schauen! Nicht in dein oder mein Gesicht, nicht auf deine oder meine Schuld, nicht auf das Leid der Welt - das ist alles da, aber wenn wir daran nicht zugrunde gehen wollen, wenn wir leben wollen, dann müssen wir auf das Kreuz schauen.  Und also zoomt er jetzt ganz nah heran, damit wir sehen - hier wird eine Geschichte von Souveränität und Freiheit erzählt - im scharfen Kontrast.  Es ist zunächst eine Geschichte mit vielen Verben:  Es beginnt mit Pilatus, der überantwortete ihnen Jesus.  Pilatus beugt sich dem Willen der aufgebrachten Menschen und gibt seine Verantwortung ab. Er „über“antwortet, geht weiter als er muss. Pilatus kannte Hannah Arendt nicht, die sagte: „Keiner hat das Recht zu gehorchen.“ Sonst hätte er sich vielleicht freimachen können, seinem Gewissen zu folgen.  Die Soldaten kannten Hannah Ahrendt nicht. Auch sie glauben, keine Freiheit zu haben, und gehorchen zu dürfen. „Sie nahmen ihn.“  Als wäre er irgendein lebloser Körper und kein menschlicher Leib, der in dem wir uns alle wiederfinden.  Sie nehmen sich den Verurteilten. Ein verräterrisches Wort. Ein Urteil ist gefallen. Der den es trifft, der bekommt noch eine kleine Vorsilbe dazu: „ver“. Die kann das betreffende Wort als negativ oder schwierig markieren. In jedem Falle wird aber eine Veränderung angezeigt, eine Entwicklungsrichtung.  Man könnte darüber noch eine Weile grübeln. Aber Johannes zoomt schon auf Jesus Christus, der sein Kreuz nimmt. Unaufgefordert? Frei sogar? In jedem Falle souverän.  Er trägt es und bringt es dahin, wo die Soldaten es haben wollen.  Nimmt er ihnen die Last ab? Johannes schaut nicht länger hin. Er schaut auf den, der den Weg geht, zu dem er sich entschieden hat.  Und sie kreuzigen ihn. Johannes macht daraus keine brutale Blut-, Schweiß- und Tränenszene. Hier stirbt ein Mensch. Nur darauf kommt es an. Er stirbt inmitten anderer, die auch sterben. Rechts und links von ihm.  Und Johannes schwenkt nochmal zurück - aber ohne Abstand zu nehmen. Er bleibt mit seiner Aufmerksamkeit ganz nah am Kreuz.  Dort schreibt Pilatus unbeirrbar in verschiedenen Sprachen, damit es jede und jeder lesen kann: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Und Johannes bleibt sich treu, weil so auch für Pilatus, den Täter, gilt, dass der gerettet wird, wenn er sich nach dem erhöhten Menschensohn ausrichtet. Und außerdem macht Platus einen wichtigen Punkt. Denn wir war das mit dem Königtums in Israel? Die Anfänge finden sich im ersten Buch Samuel: Gott hatte sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. Er war mitgegangen und hatte durch Mose und die Propheten gesprochen. Seine Menschen konnten wissen, dass er sie einer großen Verheißung entgegenführen wollte. Aber sie wollten - selbst auf Kosten der eben erst geschenkten Freiheit - lieber sein wie alle anderen. Sie „ver“warfen lieber Gottes gute Pläne und ihre Identität als sein Volk. Sie wollten keinen Propheten. Sie wollten einen König und Heer. Sie wollten und würden wie alle drumherum kämpfen auch wenn das in Zerstörung enden und die Fremde führen würde.  Und Gott. Der gedachte seines Bundes, des Regenbogens, und geht auch diesen Weg mit. Seine Reaktion war nun nicht Verwerfung seinerseits sondern Erwählung. Und so wählt er dem Volk einen König. Saul.  Kurze Aktualisierung: Timothy Snyder, der jetzt mit seinem Buch über Freiheit und seine Entscheidung, die USA zu verlassen, in vieler Munde ist, hat in seinem Band über „Tyrannei“ darauf hingewiesen, dass vor derselben schützt, wenn wir Institutionen schützen. Jetzt verstärkt er das: Freiheit negativ verstanden gestaltet Zukunft nicht. Sie muss positiv gedacht werden - mit einem JA verbunden sein.  Das sehen wir auch in der Geschichte des Königtums in Israel: in diesem König, in dem Messias, auf den wir jetzt unsere Blicke richten, den Pilatus identifiziert hat, wird Gottes Erwählung, seine Freiheit sichtbar.  Johannes hält drauf.  Dann schwenkt er unter das Kreuz. Die einen, die Soldaten, halten Freiheit für etwas, das man besitzen kann oder glauben, dass Besitz Freiheit schenkt. Darum vertiefen sie sich in das Haben und teilen Jesu Kleider unter sich auf. Sie werden Knechte bleiben.  Und dann zoomt Johannes noch ein Stück.  Zu denen, die mitgegangen sind und nun zurückbleiben: es sind drei Frauen und sein Lieblingsjünger. Jesus verbindet sie zu einer neuen Familie, damit das Leben weitergeht noch ehe es Ostern wird. Oder noch einmal mit Hannah Arendt: „Anzufangen, bevor es ein historisches Ereignis wird, ist die höchste Fähigkeit des Menschen.“ Hier unterm Kreuz fängt es an.  Und dann lässt Jesus ein letztes Mal seine Freiheit aufscheinen. Er bittet um ein Getränk und wird Essig trinken, wie es geschrieben steht. Er muss das nicht. Die Propheten haben nicht aufgeschrieben, was passieren muss sondern was passieren wird, wenn wir uns nicht ändern.  Niemand hätte ihm Essig geben müssen. Es hätte sicher auch Wasser oder Wein gegeben. Aber die, die kreuzigen, Haben ihre Menschlichkeit verloren und daran hat sich nichts geändert. Deshalb erfüllt sich die Schrift. Und dann ist es vollbracht aber nicht zu Ende. Es muss Ostern werden. Sonst laufen wir noch Gefahr, Sinn aus dem Sterben anderer zu ziehen.


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