
05/10/2025 0 Kommentare
Erntedank
Erntedank
# Predigt

Erntedank
Cornelia Götz, Dompredigerin
Einmal im Jahr bordet unser Altar über. An Ostern und Weihnachten schmücken wir auch - aber da können wir durchaus zu Hause mithalten. Erntedank nicht. Nun könnte man sagen: dazu braucht es ja auch die Landfrauen, die wie die Heinzelmännchen angefahren kommen und dieses bezaubernde Arrangement hinterlassen… Aber der Grund für dieses Fest und diesen ganz besonderen Schmuck liegt wahrscheinlich tiefer. Zuhause machen wir das Unsere möglich - aber dies hier erinnert uns wenigstens einmal im Jahr daran, dass wir uns nicht uns selbst verdanken, dass wir kein Getreide aus einem Samenkorn und keinen Apfel aus einer Blüte wachsen lassen können, dass wir Regen und Sonnenschein nicht in der Dosis und zu dem Zeitpunkt bestellen können, wann wir es für ideal halten, dass wir schon gar nicht Frieden, Glück, Gerechtigkeit und Freiheit garantieren können. Wir können lernen, wie die Dinge zusammenhängen. Wir können Parameter beeinflussen. Wir können uns krumm arbeiten. Wir können uns mit Leidenschaft hingeben. Aber wir können uns nicht in unseren eigenen Händen bergen. Wir können nicht alleine küssen. Segen fließt und wir sind immer nur Empfänger. Und auch dieser Altarschmuck ist ein Geschenk. Vieles wäre unter uns gut, wenn dieser Altar nicht so besonders wäre: Wir wüssten dann um die Fülle unseres Lebens und bildeten sie dankbar an Gottes Ort ab. Aber so ist es ja nicht. Allermeist leben wir im strengen Korsett eines anderen Koordinatensystems, das nach Selbstwirksamkeit und Wohlstand strebt, Erfolg auf Leistung zurückführt und sich in unreguliertem und unbarmherzigen Kapitalismus verliert - der aus unserer Erde ein Schlachtfeld macht. Je nachdem wieviel Glück man hat, tobt der Kampf an der Börse, auf dem Arbeitsmarkt oder vor der Haustür, wenn es die noch gibt. Nicht der Erntedankaltar ist der Alltag der Welt. Darum ist auch die Not alt. Und unser Text heute -obwohl uralt- noch immer aktuell. Sie haben ihn gehört. Klang das nicht so: Wenn du dem Hungrigen dein Brot brichst, wenn du die Elenden, die ohne Obdach sind, in dein Haus führst, wenn du einen Nackten siehst und ihn kleidest, wenn du dich dich nicht deinem Fleisch und Blut entziehst, dann wird dein Licht hervorbrechen, dann wirst du gesund und heil werden, dann wird deine Gerechtigkeit vor dir hergehen, dann wird die Herrlichkeit des Herrn deinen Zug beschließen, dann wirst du rufen, dann wird Gott antworten, dann wird Gott sagen: Ich bin da. Wenn du niemanden unterdrückst oder demütigst, wenn du nicht schlecht redest, wenn du dich von Hunger und Not anrühren lässt, dann wird es um dich hell werden, dann wirst spüren wie Gott dich führt und leitet, und deine Knochen festigt, dann wirst du dich fühlen wie ein Garten oder ein Quelle, dann wird durch dich wieder aufgebaut werden was jetzt in Schutt und Asche liegt, dann wirst du die sein, deretwegen man wieder Zuhause ist. Wenn - dann… Es scheint so einfach zu sein. Es scheint so eindeutig zusammenzuhängen. Und doch möchte man widersprechen, sich entschuldigen, verständlich machen. Das schaffe ich nicht. An mir scheitert es. Ich teile mein Brot nur mit meiner Familie und meinen Freunden. Ich beherberge nur die ich kenne und auf die ich mich freue. Ich gebe Anziehsachen weg, damit mein Schrank nicht zu voll ist. Immerhin: Ich entzieh mich nicht meinem Fleisch und Blut, meiner Familie, meinen Eltern, schon gar nicht meinen Kindern. Ich versuche, mich übler Nachrede zu entziehen. Ich glaube, ich unterdrücke keinen. Ja, die Ungerechtigkeit, der Hunger, die Armut, die Verlorenheit fassen mich an. Aber trotzdem frage ich mich, wenn ich dieses „wenn - dann“ höre: Scheitert es an mir? Ja. Es scheitert auch an mir. Fühlt sich das besser an oder suche ich so nach billiger Gnade? Ist solches Bekenntnis nicht faule Ausflucht, die auf Zustimmung baut? Sollte ich nicht doch, mit Carolin Emcke, „nach Gründen suchen, warum etwas - allen Widerständen, allen Ängsten, allen Gewohnheiten zum Trotz - möglich sein kann.“ Und sie meint damit: wir sind gut darin, Schreckensszenarien auszumalen und denken dann: wir erzählen doch, was wahr ist. Aber erzählen wir auch, was gut geworden ist und gut werden kann? Es gibt ja Vieles, was jede und jeder von uns an diesem Erntedankaltar dazulegen könnte und manches was vor einem Jahr an guter Wendung nicht vorstellbar war und auch manches, was wir gewagt, wirklich getan haben. Dieser Altar gilt Gott und erinnert uns. Noch einmal Carolin Emcke: „Es ist wichtig konkret zu werden - es braucht konkrete Vorstellungen für den Weg zum noch - nicht, zu dem was wahr sein könnte.“ Und da sind wir wieder bei den alten Texten - sie klingen utopisch und klar zugleich. Die Hungrigen, die Obdachlosen, die Armen - wir sind es, die da was tun können. Es funktioniert nicht? Letzten Sonntag hieß es. „All eure Sorge werft auf ihn“ Und endete so: Gott will euch „aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“ Wenn - dann. Auch heute kommen diese Verben wieder vor: Wenn - dann werden wir aufrichten und gründen. Der Zusammenhang kann einen mutlos machen. Oder ungeheuer hoffnungsvoll.
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