19/11/2025 0 Kommentare
Buß- und Bettag
Buß- und Bettag
# Wort zum Alltag

Buß- und Bettag
Wieder der nutzlose Feigenbaum… Wieder Buß - und Bettag. Dass die Advents- und Weihnachtszeit alle Jahre verlässlich vorbeikommt, tut uns gut. Die Weihnachtsmusik leuchtet in die Seele und an der Krippe lassen wir uns erweichen, erleben uns auf eine Weise, die wir gern festhalten würden, die wir an uns mögen. Aber Buß- und Bettag…? Wieder festgenagelt werden auf alles, was nicht geworden ist. Wir kommen nicht von der Stelle. So scheint es. Und macht ratlos. Wir werden wieder und wieder erinnert, dass wir uns nicht selbst entschuldigen können, dass unsere Welt genauso unerlöst und zerlitten ist wie vor einem Jahr, dass wir darauf angewiesen bleiben, dass jemand – wie der Weingärtner - Fürsprache hält und uns seinetwegen (!) Erbarmen widerfährt.
So kommen wir am Ende der Friedensdekade, nach dem zehntägigen Gebet für den Frieden in der Welt, bei uns selbst an. Buße geht nicht stellvertretend. Buße hat es etwas mit meiner eigenen Umkehr tun. Heute ist der Tag, an dem wir uns umdrehen und unweigerlich zurückblicken: auf ein Jahr, in dem wir wählerisch geliebt, zögerlich gehofft und zuerst auf uns selbst vertraut haben – mit allen Konsequenzen. Zurückblicken also.
Und dann sehe ich auch den letzten Sonntag und das berührende Chorwerk „A child of our time“. Seinen historischen Ort hat es unmittelbar nach der Reichspogromnacht 1938 - jetzt ist es erschütternd aktuell. Zwei Tage davor Premiere im Staatstheater: Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Warten, warten, warten, währenddessen das Leben vorbeigeht und mit ihm die Momente, in denen man hätte aufbrechen müssen. Aber vor lauter Warten bleibt alles ohne … ja was eigentlich? Im Bild des Feigenbaumes gesprochen: ohne Frucht. Und davor war Elia, der tief erschüttert über seine eigene Gewalttätigkeit nicht mehr leben will und in dem Gott uns fragt: Was tust Du hier? Und davor der lebenslang Gelähmte, der nicht weiß, ob er gesund werden will… Und wir werden immer mitgefragt, gerüttelt, zurückgelassen. Was hilft dieses Umdrehen? Sind wir so nicht zum Erstarren verdammt? Oder ist dieses innerliche Umwenden und Umdrehen zuerst eine Haltung gegen das Vergessen? In der Materialsammlung zur Friedendekade finde ich folgenden Text:
„Ich will mich erinnern, / dass ich nicht vergessen will;
denn ich will meine Geschichte kennen.
Ich will mich erinnern, / dass ich oft doch vergessen will;
denn ich will nicht zu viel leiden
Ich will mich erinnern, / dass ich nicht vergessen will.
Denn ich kann nicht denken, / ohne mich zu erinnern;
denn ich kann mich nicht orientieren, / ohne mich zu erinnern
denn ich kann nicht lieben, / denn ich kann nicht hoffen,
denn ich kann mich nicht versöhnen, / ohne mich zu erinnern …“
Vielleicht ist das der Prozess, die Einsicht, die zum Bußtag gehört: Zeit sich zu erinnern. Ohne Schonung.Und dann doch auch: Weiter schauen – auf den hin, der immer wieder Neuanfänge ermöglicht hat, trotz allem, das ganze Jahr lang. Schauen auf den hin, der die Liebe ist und einen Horizont der Hoffnung kennt. Und wieder ist da der Weingärtner und sein Bäumchen. Er hat es gepflanzt, gehegt und gepflegt, in sein Herz geschlossen. Er sieht nicht die verlorene Zeit. Er sieht nicht die Vergeblichkeit. Er sieht kein Muster des Versagens. Er sieht Hoffnung. Vielleicht trägt es doch…? Und wir, d e wir heute nicht nur Buße tun, sondern auch beten, weil wir das dürfen und sollen, sehen am Ende des Oratoriums am vergangenen Sonntag, eine Hoffnung, einen Frühling, eine Himmelstür und den großen Strom der Zeit, wir sehend den Raben, der Brot und Wasser bringt, damit Elia nicht zugrunde geht und den Gelähmten, der seine Matte nimmt, aufsteht und losgeht. Wir sehen auf unser Leben. Und ja: wir sind wieder auf diese letzten Tage im Kirchenjahr zugegangen. Aber auch: Gott uns entgegengekommen.
Dompredigerin Cornelia Götz
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