6. Sonntag nach Trinitatis

6. Sonntag nach Trinitatis

6. Sonntag nach Trinitatis

# Predigt

6. Sonntag nach Trinitatis

Cornelia Götz, Dompredigerin


Wir haben zu Hause eine Redewendung für die Momente, wenn wir uns das Kinoprogramm zu Gemüte geführt haben: „Ich möchte zarte bulgarische Ehedramen“ - kein Mord- und Totschlag, keinen Thriller - einfach nur ein zartes bulgarisches Ehedrama. So geht es mir manchmal beim Predigtschreiben: Ich möchte etwas Helles und Heiteres sagen, von großem Frieden erzählen, die Wüste zum Blühen bringen, Zuversicht und Fröhlichkeit verströmen -  aber im Programm gibt es das einfach nicht. Im Gegenteil: über diesem Sonntag steht ja eigentlich das Thema Taufe und damit ein lichter Horizont von Gottes „Ja“ zu uns und all dem Guten, was auf seinen Wegen möglich werden kann -  aber dann sind da die schrecklichen Bilder aus Gaza und unsere Hilflosigkeit, unser Schweigen, dann ist da die - jedenfalls mich verstörende - isolierte Haltung unserer Regierung zu diesem Konflikt,  der ganze überhaupt nicht neue Korruptionsmist in der Ukraine,  die viele Gülle und deutsche Ignoranz gegenüber Verabredungen und Verträgen bei Landwirtschaft und Klimaschutz, ganz zu schweigen vom Asylrecht - man möchte eigentlich wie Elia einfach wegrennen, sich irgendwo in menschenleerer Gegend unter einen Baum legen und den Dienst quittieren.  Aber wir sind hier und geben uns Mühe.  Hören auf Gottes Wort und heute auf den ersten Petrusbrief - da hat sich ja offenbar ein Mensch wie wir, einer der getauft war und der guten Nachricht, dem Evangelium von Jesus Christus, etwas zutraute - Mühe gegeben, seinen Nächsten und durch die Zeit auch uns, etwas Hilfreiches zu sagen.  Erinnern Sie sich an die Bilder des Textes? Da war zunächst von Muttermilch die Rede und dem Kindchen, das sie sucht und braucht, um zu gedeihen, einen guten Start ins Leben zu haben, ein gesundes Immunsystem gegen so vielerlei Gefährung aufbauen zu können. Das könnte eine Predigt über dieses Wunder werden: dass Mütter genau die Milch haben, die jeweils das Beste für dieses eine unverwechselbare Kind ist. Sie ist nicht nur frei von jedweder Verunreinigung und gerade so nahrhaft oder durstlöschend wie im Moment nötig, sie ist auch immer da, auf die unmittelbarste und innigste Weise verfügbar, hilft einen Schutz und Stabilität aufzubauen, damit man irgendwann sicher auf den eigenen Beinen steht.  Was für ein schönes - verblüffend mütterliches - Bild für die Taufe und Gottes große Zuwendung zu jedem von uns! Ja!  Aber dann drängt sich Gaza dazwischen.  Und ich ahne, die Brüste der Mütter dort fließen nicht über, weil das Kindchen grade satt ist und ruhig schläft. Ich ahne, die Muttermilch dort ist nicht dick und sahnig, weil die Stillende gesundes gutes Essen hat, sondern dünn wie Molke.  Ich ahne, das Stillen ist nicht ein Moment großer Nähe zwischen Mutter und Kind, sondern eine Riesensorge, weil die Milch vor Angst und Stress wegbleibt oder sich staut und die Brüste entzündet.  Es könnte gut sein. Es ist alles gut eingerichtet.  Aber wir Menschen … Und dann war da noch das Bild eines Bauwerkes.  Die Bauleute brauchen einen Eckstein - der muss von bester Qualität sein, ein Referenzprodukt sozusagen, denn das ganze Bauwerk richtet sich nach ihm aus. Er trägt und hält zusammen, lotet und ordnet. Ein wichtiger und wertvoller, darum schön behauener Stein. Aber auf dieser Baustelle ist ein Eckstein verbaut, den die Bauleute für ungeeignet gehalten haben. Was war mit dem? War er schief, uneben, aus schlechtem Material, zu bröcklig? Oder zu groß, unbehaubar, nicht in Form zu kriegen? Warum wird der dann trotzdem ein Eckstein - verantwortlich für das Ganze?  Damit man sich ordentlich ärgern kann?  Damit menschliches Scheitern dokumentiert wird?  Denn vom Ärger und Anstoß war ja auch was drin im Brief des Petrus. Und dann sind da noch die lebendigen Steine - ein Widerspruch in sich. Alles was Leben ausmacht: Reizbarkeit, Stoffwechsel, Bewegung, Wachstum, Fortpflanzung, Evolution - kann ein Stein nicht. Ein Stein ist ein kompaktes Objekt, verfestigtes Sediment, Ausdruck von Stabilität und Dauer.  Hier soll offenbar etwas gebaut werden, was gar nicht geht oder was es so noch nicht gibt.  Was will Petrus uns schreiben?  Dass wir völlig andere Lebensstrukturen, Wohneinheiten, Verbindungselemente und Referenzpunkte brauchen als unter uns üblich? Das wir Gefahr laufen, in den Gebäuden, in denen wir uns verbauen lassen, einfügen und unsere Last tragen, zu toten Steinen zu werden - ohne jede Regung, was immer passiert? Zeit, noch einmal in den Text zu gucken und dabei ein Experiment zu wagen: Nächste Woche werde ich mit den Konfirmanden auf Segeltour gehen. Auf der Suche nach einem Unterrichtskonzept bin ich auf ein Projekt der Mitteldeutschen Kirche gestoßen: Denken wir uns die Bibel wie einen Fluss von Erfahrungen mit Gott. Lernen wir wieder lesen, was das mit uns zu tun hat und üben wir uns darin, zu sehen, dass sich fünf Themen wie große Ströme durch die ganze Bibel hindurchziehen:  Menschenwürde - Berufung - Neuanfang - Partei ergreifen - Gerechtigkeit.  Funktioniert das auch mit unserem Text?  Hören wir nochmal hin:  „So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und … kommt zu ihm als zu dem lebendigen Stein...“ Neuanfang: Lasst hinter euch was ist und kommt - wachst dem Guten entgegen. Berufung: Gott erwählt und ruft, die ihm kostbar sind. „Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause.“  Menschenwürde: wir sind ihm ähnlich, lebendiger Stein wie er selbst und durch seinen Sohn, den Eckstein, miteinander verbunden.  „Darum steht in der Schrift: Siehe, .. wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“ Die Bibel, der Fluss - er verbindet uns mit denen, die vor uns waren, geglaubt und von ihren Glaubensgeschichten erzählt haben und mit denen, die sich heute irgendwo anders über diesen Text beugen und mit denen, die unsere Nächsten sind, die Not leiden und hoffen, dass wir hören und verstehen.  „Für die aber, die nicht glauben, ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben; ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses.“ Es ist nicht der einfache Weg. Es geht nicht um Glück, sondern um Gerechtigkeit, Parteilichkeit, Humanität - der Stein des Anstoßes sagt: „es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.“ Und wir wissen ärgerlicherweise: Gerechtigkeit kann es nicht allen recht machen, darum ergreift Gott in Jesus Christus Partei für die Ohnmächtigen, die Friedfertigen, die Armen, die Gefangenen, die Witwen und Waisen. „Ihr aber seid ein heiliges Volk.“ Berufung: Gott ruft uns. Jetzt.  Wir können und dürfen ein Volk sein - kein national aufgepumptes, sondern ein heiliges. Als solches haben wir Verantwortung in unserer Welt, damit aus der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden, Wirklichkeit wird.  Da liegt er - der Strom. Das Wasser fließt - es ist lebendig wie die lebendigen Steine. Wir können in diesen Fluss hineinsteigen wie unsere Eltern, Großeltern, Paten - uns verbinden, erinnern, ermutigen lassen - und dann Partei ergreifen, die Stimme erheben, uns einmischen. Es ist einfach nicht die Zeit für zarte bulgarische Ehedramen. Ich hab eh noch keins gesehen.


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