20. Sonntag nach Trinitatis

20. Sonntag nach Trinitatis

20. Sonntag nach Trinitatis

# Predigt

20. Sonntag nach Trinitatis

„So ging Noah heraus aus der Arche…“ Und seine Familie und alle Tiere auch. Sie gehen in schönster Ordnung wie sie hineingezogen sind. Kinderbibelillustratorinnen und erzgebirgische Schnitzer haben aus diesen Berichten wunderbare Kararwanen gezaubert: vorneweg die großen Elefanten und Gorillas, ganz am Ende die Wanzen und Heuschrecken… Eine neue Schöpfungsordnung unterm Regenbogen - wenn schon nicht der Paradiesgarten, dann wenigstens die zweitbeste aller Welten unter den Augen eines besänftigten Gottes.  Ja, so kann man es lesen und Kinder, die Geborgenheit brauchen und darauf angewiesen sind, vertrauen zu können, dass man ihnen nichts Böses will, brauchen solche Geschichten und diesen Teil der Wahrheit. Die Taube mit dem Ölzweig im Schnabel ist ein großes Hoffnungsbild. Sie bringt Zukunft dorthin wo wir sie noch nicht erkennen können. Wie gut, wenn diese Hoffnung in unseren Herzen tief gewurzelt hat! Denn sie muss sich behaupten gegen Fragen, Zweifel und Wirklichkeiten. Vielleicht deshalb kommt diese Geschichte nicht am Schöpfungstag im September, sondern am Ende des Kirchenjahres. Denn jetzt geht es um die vorletzten Dinge, um unsere zerlittene unerlöste Welt und all die bitteren Wahrheiten, die mit uns Menschen - unseren Gedanken, Worten und Werken - zu tun haben. Grund genug die alte Geschichte mit erwachsenen Augen zu lesen.
„So geht Noah aus der Arche…“ Ich kann nichts davon lesen, dass Noah sehnsüchtig darauf gewartet hätte, den sicheren Zufluchtsort zu verlassen. Die Arche hat ihn geschützt - nicht nur davor, selbst zu ertrinken, sondern auch davor, erleben zu müssen, was draußen passiert.  Wenn er jetzt rausgeht, dann wird er der Überlebende sein, in dessen Netzhaut und Seele sich Bilder einbrennen werden, die ich mir nicht vorstellen will. Denn wie wird es aussehen, nachdem die Flut ihr Zerstörunsgwerk wieder freigegeben hat? Doch wie in Gaza, Aleppo, al Faschir, Bachmut, Mariupol, Coventry.
Hat Noah das kommen sehen? Hat er deshalb die ganze Zeit geschwiegen? Er redet auch jetzt nicht. Er tut weiter, was Gott von ihm erbittet. Er geht los, beginnt mitten in der Verwüstung und Zerstörung von vorn und baut einen Altar. Einem Fleckchen Erde gibt er seine Würde und Heiligkeit zurück. Es gibt nichts mehr - außer ihm, seiner Familie, den Tieren und dem erschütterten zornigen reuigen Gott. Sie werden neu anfangen müssen. Auch miteinander. Und auch jetzt hat Noah keine Worte. Die Bibel erzählt nicht, dass er geweint oder gesungen hätte, gefleht oder gedankt. Er opfert - „von allem reinen Vieh und allen reinen Vögeln.“Reine Tiere sind Paarhufer und Wiederkäuer, also Rinder, Schafe und Ziegen.  Reine Vögel sind Taube und Kranich, Schwalbe und Sperling, Rebhuhn, Pfau und Wachtel. Die Liste ist unvollständig… Sie alle werden geopfert. Ist das nicht widersinnig? Jetzt, nachdem sie so mühsam gerettet waren? Oder haben die 371 Tage auf der Arche gereicht, dass es genügend Jungtiere gab? Was für merkwürdige Gedankenexperimente - der Kopf möchte so gern, dass alles zusammenpasst. Die Bibel folgt anderen Spuren: Noah opfert. Wie Abel. Es beginnt alles von vorn. Wieder riecht Gott den Duft dieser Zeremonie, der kostbaren Gaben. Wieder lässt er sich so erreichen, erweichen. Dieser Duft bringt ihn zum Nachdenken. „Er spricht in seinem Herzen mit sich selbst.“ Was für ein erschütterliches Gottesbild. Der Ewige, Allmächtige ringt mit seinen Gefühlen. Er sieht diesen Menschen. Mich erinnert Noah an den Kranken am letzten Sonntag, den Jesus fragte: „Willst du gesund werden? Willst du leben?“ Er sieht diesen Noah. Ganz klein in all der Zerstörung - neben der Arche und dem Altar. Und Gott fasst einen Vorsatz. Gott sagt sich: „Ich will die Erde nicht noch einmal wegen der Menschen, die von Jugend auf böse sind, verfluchen und vernichten.“
Ich will die Erde nicht nochmal vernichten. Das habe ich bisher überlesen. Ich dachte, Gott will uns Menschen nicht noch einmal in solch eine Katastrophe stürzen. Aber das ist hier - noch - nicht gesagt. Gott riecht den Duft all der geopferten Tiere und macht unser Schicksal abhängig von dem der Erde, der Tiere: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören … Sommer und Winter.“ Und dann springt der Predigttext ein halbes Kapitel weiter hin zum Regenbogen, der das Zeichen für dieses Verspechen sein soll. Gottes Kriegsbogen soll von nun an in den gefährlichen Regenwolken erscheinen, um Gott daran zu erinnern, dass er sich nie mehr vergessen will, dass er so etwas nicht noch einmal tun will. Sein Job ist es nun dafür zu sorgen, dass die Erde nicht verwüstet, verbrannt, ersäuft wird. Das haben sich die Macher der Perikopenordnung fein ausgedacht. Aber so ist es nicht gemeint. Denn vor dem Bund, vor dem Regenbogen gibt Gott den Menschen eine Ordnung. Auch sie müssen ihren Teil dazu tun, dass so etwas nicht nochmal passiert, dass die Gewaltspirale sich nicht immer weiterdreht. Denn Gott weiß ja: nicht die Menschen sind durch diese Katastrophe anders geworden. Sondern er. Er, Gott, hat sich verändert. Er Gott, hat etwas gelernt. Vor der Sintflut war er enttäuscht und traurig, weil seine Menschen böse sind. Danach spricht er anders: sie sind böse von Jugend auf - aber nicht immer, nicht so geboren, sondern so geworden. Sie müssen so nicht sein. Darum braucht es für den Neuanfang eine Ordnung. Darum richtet Gott die Welt dieses Mal anders ein. Dieses Mal sollen die Menschen auch Tiere essen dürfen - nicht nur wie am Anfang Pflanzen, die Samen bringen oder Früchte, die Samen haben. Gott gibt die Hoffnung auf, dass es eine Welt geben könnte ohne Fressen und Gefressenwerden. Aber er setzt eine scharfe Grenze: Menschen sollen sich vom Blut fernhalten. Sie sollen das Blut der Tiere nicht essen und dass der Menschen auf gar keinen Fall vergießen. „Wer Menschenblut vergießt dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden, denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“ Das ist ein dunkler schwerer Satz. Es liegt nun allein in der Hand der Menschen, ob die Gewalt losbricht. Wer einen Menschen tötet, tötet der auch Gott.? Schärfer kann das Gebot nicht sein. Aber auch die Zusage darin ist gewaltig: denn wir sollen leben. Unbedingt! Darum wird Gott nicht mehr verfluchen, sondern segnen. Und das tut er. Gott segnet den Noah und seine Kinder. Und erst jetzt - unter neuen Regeln - schließt er seinen Bund. Es ist eine zweite Schöpfung. Aber dieses Mal beinhaltet sie Recht und Ordnung, Hierarchie und Schutz.Die zweitbeste aller Welten beginnt mit der Rettung eines Menschen und seiner Familie und einem Bund: Er gilt zwischen Gott und allen lebendigen Wesen.
Seither haben Menschen viele Regenbögen gesehen - immer dann, wenn Gott sich daran erinnern musste, dass er nicht dazwischen schlagen, nicht wieder alles vernichtete will. Immer dann, wenn er sich erinnert, dass wir ihm ähnlich sind, nicht böse.Die Welt unterm Regenbogen ist nicht frei von Gewalt.
Aber Gott hat sich mit ihr verbunden, so wie sie ist. Und seine Menschen gesegnet. Wieder und wieder.

Cornelia Götz, Dompredigerin

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