
05/10/2025 0 Kommentare
Trümmerfenster
Trümmerfenster
# Wort zum Alltag

Trümmerfenster
Gabriele Geyer-Knueppel, Pfarrerin
Ich stamme aus einer Familie, in der Dinge, die kaputt gingen, repariert wurden. Vor allem mein Vater widmete sich hingebungsvoll dieser Tätigkeit. Ob abgesprungene Tüllen von Milchkännchen, Henkel von Bunzlauer Teetassen, die den 100. Spülmaschinengang nicht überlebt hatten oder entleimte Fußbänke – alles erfuhr sein liebevolles Geschick und seine Zeit bei der Wiederherstellung. Bis heute steht ein Porzellansalzstreuer in Schweinegestalt mit Namen „Walter“ in meinem Küchenschrank, der aus unzähligen Bruchstücken wieder in die Nutzbarkeit zurückgeführt wurde…Leimnarben inklusive Solche Haltung zu materiellen Dingen ist selten geworden. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Reparaturen sind out und das geht zu Lasten unserer Umwelt. Mich hat diese Haltung des „Heilemachens“ geprägt. Dinge nicht verloren zu geben, Dinge auch mit Klebespuren weiter zu nutzen und sich Zeit nehmen, um geliebte Dinge eigenständig zu reparieren - das pflege ich auch in meinem Leben. Allerdings mit einer Weiterentwicklung: Mein „Das kann man noch zum Basteln aufheben“… lernten meine Söhne früh zu sprechen, wenn es ums Ordnungmachen in ihren Zimmern ging. Ein besonders schönes und berührendes Beispiel der Wiederherstellung eines in abertausende Teile zersprungenen Gegenstandes ist mir in diesem Sommer in der Predigerkirche in Erfurt begegnet. Dort gibt es die sogenannten „Trümmerfenster“, die sich seit 1952 in der Apsis dieser alten gotischen Kirche und im nördlichen Seitenschiff finden. Einen kleinen Ausschnitt davon halten sie jetzt in der Hand. Bunt und vielseitig begegnet uns Glasquadrat um Glasquadrat… Wer genau hinschaut, entdeckt Reste von Blüten und Türmchen und anderen Formen darin. In der gotischen Länge, in der die 3 Fenster wieder eingesetzt wurden, wirken sie wie ein kaleidoskopartiges Gebilde, das je nach Lichteinfall faszinierende Farbschatten wirft oder BetrachterInnen in dieses Farbenspiel regelrecht hineinsaugt. Diese sogenannten Trümmerfenster sind entstanden aus den abertausenden Splittern, in die die schönen mittelalterlichen Glasfenster unter den Bombenangriffen im 2. Weltkrieg zerbarsten und rund um die Kirche herum lagen. Menschen, die die Fenster zu Vorkriegszeiten geliebt und bewundert haben, taten sich zusammen, sammelten die unzähligen Glastrümmer auf und ließen sie von dem Glasmaler und Restaurator Heinz Hajna wieder zusammensetzen. Nun stehen sie den Gottesdienstbesuchern und Touristen wieder zur Verfügung, in veränderter Form und auf neue Art faszinierend schön. Wer Kaputtes repariert, der befördert in gewisser Weise Heilungsprozesse. So verstehe ich die Botschaft der Trümmerfenster der Predigerkirche in Erfurt. Ein Besuch lohnt sich! Wir alle erleben auch im zwischenmenschlichen Bereich immer wieder, dass Dinge „Kaputt gehen“. Ehen werden geschieden, Familienbande sind nicht zu halten, Vertrauen wurde missbraucht, Mobbing am Arbeitsplatz machte eine Kündigung nötig, Völker führen Krieg gegeneinander und zerstören, Häuser, Seelen und Träume…Kaputtes gehört zum Leben dazu! Und es gibt einen, der die Haltung des wieder Zusammenfügens und Heilens in seinem Dasein für uns immer bereithält: Das ist Gott. Von ihm sagt der Prophet Jesaja im 42.Kapitel: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Aus dieser Hoffnung können wir Kraft schöpfen, heilen und leben. Amen.
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